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Vor 80 Jahren: Die Kairo-Konferenz
Was und was nicht beschlossen wurde
Unter dem Codenamen Sextant trafen sich im Jahr 1943 in Kairo unter größter Geheimhaltung Delegationen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nord-Irland sowie der Republik China unter Führung von Präsident Franklin D. Roosevelt, Premierminister Winston Churchill und des Vorsitzenden der Nationalregierung Chiang Kaishek.
Nachdem Japan seit 1894 durch immer neue militärische Gewaltakte große Landflächen von China erobert hatte, Taiwan 1895 zur japanischen Kolonie und ab 1931 die Mandschurei zu einem Marionettenstaat umgewandelt worden waren, drohte Chinas völlige Niederlage, denn seit 1937 griffen japanische Militärs nach der Einnahme Nordchinas selbst Zentral- und Südchina an. In kürzester Zeit eroberten sie die Hauptstadt Nanjing und die wirtschaftlich wichtige Hafen- und Industriestadt Shanghai. Bis dahin war das militärisch unterlegene China ohne Bundesgenossen geblieben.
Mit der Attacke auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor am 7. (2403 Gefallene, 1178 Verwundete, 27 versenkte oder beschädigte Schiffe und 347 zerstörte oder beschädigte Flugzeuge), einem singulären Angriff auf die Souveränität der Vereinigten Staaten, und auf die britische Kronkolonie Hongkong am 8. Dezember 1941 änderte sich die Situation. Die USA und Großbritannien wurden mit der Kriegsgegnerschaft zu Japan plötzlich zu Verbündeten Chinas. Am 9. Dezember 1941 schloss sich die chinesische Regierung aus der provisorischen Hauptstadt Chongqing den beiden Staaten an und erklärte den Achsenmächten Deutschland, Italien und Japan den Krieg. Es dauerte bis zu einem Gipfeltreffen noch lange Zeit, denn erst nach knapp zwei Jahren hatten sich aber die drei Mächte auf diese Zusammenkunft in Ägypten zum Zweck der gemeinsamen Kriegsführung geeinigt. Churchill hatte eine Weile die Teilnahme Chinas blockierte, stimmte aber unter dem Druck der USA schließlich zu. Zwischenzeitlich war nämlich auch die britische Kolonie Singapur von Japan erobert worden, laut Churchill "the worst disaster and largest capitulation in British history".
Verschnupft über die vorausgegangene Indienreise Chiangs und dessen Forderung, die Kolonie Britisch-Indien solle ein unabhängiger Staat werden, hatte Churchill ursprünglich vor, das Treffen ausschließlich mit Roosevelt abzuhalten. Doch dessen nachdrückliches Eintreten für die Republik China als Großmacht bewirkte ein Einlenken des britischen Premiers.
Zwischen dem 21. und 26. Oktober 1943 verhandelten die drei Mächte über das gemeinsame militärische Vorgehen im asiatisch-pazifischen Raum und dessen politische Neuordnung nach der Kapitulation Japans. Unter großen Gefahren waren die Delegationen angereist, was die Geheimhaltung rechtfertigte. Vor dem Eintreffen Roosevelts hatten sich bereits Churchill und Jiang am Nachmittag des 21. zu einer halbstündigen Unterredung in Beisein von Lord Louis Mountbatten, dem britischen Kommandeur für Südostasien, und Wang Chonghui in seiner Eigenschaft als Generalsekretär des Nationalen Verteidigungsrates eingefunden. Noch schien die Atmosphäre zwischen Churchill und Chiang sowie dessen ihm als Dolmetscherin zur Seite stehende Ehefrau Song Meiling, recht entspannt.
Mit dem Eintreffen des US-Präsidenten änderte sich jedoch das Verhältnis zwischen Churchill und dem Ehepaar Chiang, denn Roosevelt schien sich besser mit dem Repräsentanten Chinas als mit dem britischen Politiker zu verstehen. Zudem hielt Song Meiling Churchill die imperialistische Politik Großbritanniens vor.
Gewiss waren die Gespräche über das militärische Vorgehen des Dreierbündnisses gegen Japan dadurch nicht getrübt, doch als es um Fragen zum Aufbau einer neuen ostasiatischen Ordnung nach dem Krieg ging und ein Konzept hierzu protokolliert wurde, welches in eine gemeinsame Deklaration münden sollte, bemühte sich die britische Seite, Schwächen im Text des chinesischen Entwurfes aufzuspüren. Dies galt besonders für den Teil, welcher sich mit den verlorenen Landesteilen Chinas befasste.
Nachdem die Briten den chinesischen Entwurf gelesen hatten, machte Vizeaußenminister Aleander Cadogan „Mängel und Auslassungen“ aus britischer Sicht geltend und fühlte sich gezwungen, mit Wang und Harriman zu diesem Thema zu streiten. Cadogan empfahl, den Satz der chinesischen Fassung „the territory that Japan has so treacherously stolen from the Chinese, such as Manchuria and Formosa, will of course be returned to the Republic of China” („das Territorium, das Japan den Chinesen so heimtückisch gestohlen hat, wie die Mandschurei und Formosa, wird selbstverständlich an die Republik China zurückgegeben“) in die Fassung „the territory that Japan has so treacherously stolen from the Chinese, such as Manchuria and Formosa, will of course be given up by Japan” („das Territorium, das Japan von den Chinesen heimtückisch gestohlenen hat, wie die Mandschurei und Formosa, wird von Japan selbstverständlich aufgegeben“) abzuändern. Der Passus „will (…) be given up by Japan” besagte jedoch nichts über einen Empfänger.
Dies ließ Wang Chonghui nicht unwidersprochen und erwiderte Cadogan, er habe zwar keine Einwände gegen den Vorschlag, dass die Mandschurei und Taiwan von Japan aufgegeben werden sollten. Es musste jedoch klar sein, dass diese Gebiete an China zurückgegeben werden sollten, wenn Japan sie nach dem Krieg aufgeben sollte. Wang bekräftigte, dass weder er selbst noch die chinesische Regierung einen Vorschlag nicht akzeptieren könnten, das Land nur aufzugeben statt „an die Republik China zurückzugeben“. Er warnte, ein solcher Vorschlag könnte Zweifel an der Legitimität von Chinas Anspruch auf die Mandschurei und Taiwan aufkommen lassen!
Er bestand beharrlich darauf, dass der Satzteil zur Retrozession an die Republik China unbedingt im Text beibehalten werden müsse. Damit gewann Wangs Position die Unterstützung von US-Botschafter Harriman, der zustimmte, der Wortlaut des Kommuniqués müsse klar den Empfänger benennen. Die Chinesen und Amerikaner beschlossen daraufhin, dass die Aussage im Text beibehalten werde. Damit setzten sie sich gegen Großbritannien durch. Zudem schlug Wang vor, die Penghu-Inseln (Pescadoren) in den Satz zur Rückgabe mit aufzunehmen. Wangs Vorschlag wurde sofort in den Text aufgenommen, und die drei Staats- und Regierungschefs einigten sich darauf, jene endgültige Fassung des Kommuniqués zu akzeptieren.
Die chinesisch-amerikanische Geschlossenheit hatte auch noch weitere Konsequenzen für Ostasien: Hinsichtlich einer von chinesischer Seite geforderten Unabhängigkeit Koreas führte sie dazu, dass Großbritannien überstimmt wurde und dieser Passus Bestandteil der Dreier-Erklärung werden konnte.
Für die Briten und die Amerikaner wurde die Zeit knapp, denn beide Delegationen reisten weiter zur Konferenz von Teheran, wo sie mit einer sowjetischen Delegation unter Staatschef Josef Stalin über eine Anti-Hitler-Koalition und die Nachkriegsordnung Europas sprechen wollten. Deshalb wurden wichtige Angelegenheiten vertagt, die der chinesischen Führung unter den Nägeln brannten.
Nicht „Kerngegenstand“ der Konferenz von Kairo war die Frage der Integration von Hongkong und Tibet in die Verwaltungshoheit der Republik China. Wie bereits ausgeführt, war Hongkong seit dem erzwungenen Vertrag von Nanjing 1842 britische Kronkolonie und erweitert durch die nachfolgende Pekinger Konvention 1860 und die Zweite Pekinger Konvention 1898. Es gehörte folglich zu jenen Gebieten, die zu den chinesischen Territorien zählten, welche durch die „Ungleichen Verträge“ an Großbritannien gelangt waren. Auf Wunsch Chiang Kaisheks hatte Roosevelt während der Konferenz in Kairo bei Churchill angefragt, aber eine Abfuhr erhalten. Wenige Tage später auf der Konferenz von Teheran antwortete Churchill unmissverständlich: „Britain desired no extension of territory, but would not give up what she had, and that included Hong Kong and Singapore.”
Anders verhielt es sich mit Tibet, das bis zu seiner Unabhängigkeits-erklärung in einem Suzeränitätsverhältnis zu China gestanden hatte, welches tibetische Tributpflichten gegenüber dem chinesischen Kaiserhaus und den Verzicht auf eine eigene Außenpolitik einschloss. Mit der von Großbritannien forcierten Beendigung der Suzeränität, die dem Untergang der chinesischen Monarchie folgte, kam es zu politischen Auseinandersetzungen um Tibets Status und sein Territorium. Ein Vertrag, der seitens der Republik China nicht ratifiziert worden war, ließ die Frage offen.
Das Thema Tibet wurde während eines Lunchbanketts von Wang Chonghui mit dem britischen Außenminister Anthony Eden und dessen Stellvertreter Cadogan am 26. November behandelt. Wang machte den britischen Regierungsmitgliedern deutlich, Großbritannien würde die chinesische Souveränität verletzen, indem es die tibetische Souveränität propagierte.
Beide Themenbereiche, Hongkong und Tibet, konnten aus Zeitgründen folglich nicht weiter vertieft werden. Ein weiteres Spitzentreffen sollte es in dieser Konstellation nicht wieder geben. Wie beide Territorien in den chinesischen Staatsverband integriert wurden, ist sattsam bekannt.
Dieser chinesischer Staat hieß allerdings „Volksrepublik China“. Dass Taiwan und Penghu nach Kriegsende Teile Chinas wurden, sicherte die Existenz der Republik China, welche schon 1949/50 durch die kommunistische Revolution das gesamte Festland verlor. Mit der Kapitulationsurkunde hatte Japan 1945 die Zession Taiwans an die Republik China völkerrechtlich auf der Basis der Deklaration von Kairo anerkannt und bekräftigte dies nach Wiedererlangung der Souveränität durch den Sinojapanischen Friedensvertrag von Taibei von 1952. Der entscheidende Passus aus der Deklaration von Kairo lautete:
„It is their purpose that Japan shall be stripped of all the islands in the Pacific which she has seized or occupied since the beginning of the first World War in 1914, and that all the territories Japan has stolen from the Chinese, such as Manchuria, Formosa, and The Pescadores, shall be restored to the Republic of China.”
Thomas Weyrauch am 21.11.2023